Rhodrick TayaliHeimat in der Farbe suchend.

von Dr. Friedhelm Häring Museumsdirektor a.D. und Kunsthistoriker


Im menschlichen Leben gibt es einen Vorgang, der der Osmose vergleichbar ist. Der Einzelmensch schwimmt wohlig im Wir-Gefühl der Menge wie in einer Flüssigkeit. In dieser  Masse gibt es immer auch trennende Abschnitte, Membranen aus Konfession, Ideologie, Alter, sozialer Stellung und mehr. Nur bestimmte Moleküle, im Beispiel sind das die Menschen, werden hindurchgelassen. Das Einzelwesen bewegt sich dabei zu der Seite, auf der die höhere Konzentration gelöster Teilchen vorliegt. Für die Mehrheit ist der spontane Durchgang durch die semipermeable Membran leicht möglich. Sie klumpen dann auf der vorteilhaften Seite bei politischen Aufmärschen, bei Demos, Open Air-Konzerten, in Autoclubs, Fußballvereinen und deren Stadien, als Volk, als Rasse, als Nation, als Religion oder Sekte und in kleinerem Maßstab als elitäres Rudel, wie Lions, Soroptimist und so weiter.
 
So fächern sich die Gesellschaften weltweit nach Tam-Tam, Tao und Zen, Gewerkschaften, in Mitgliederinnen und Mitglieder, solche  die Fußball spielen, und zum Beispiel [..]Golf spielende [..] und eine Jacht besitzen und solche, die das Gestüt mit den Pferden besitzen auf dem ihre Polo spielenden [..] Freunde das Spiel gewinnen wollen. Alle wollen immer alles gewinnen, was auch aus der perversen Überbewertung des Sports herzuleiten ist. 
Hinderlich können in diesem osmotischen Vorgang Sprachunterschiede sein, noch störender sind Auffassungsunterschiede und Denkfähigkeit, ganz problematisch sind körperliche oder geistig seelische Behinderungen. Wer nicht integriert ist oder integrieren will, bleibt vor der Membran, für den ist sie nicht durchlässig, nicht einmal halbdurchlässig, semipermeabel.


 
In seinem Ölgemälde „Lion“ von 2025 malt Rhodrick Tayali eine vergleichbar diffuse Situation, in der sich die Gedanken und Erscheinungen erst festigen wollen, oder voneinander geschieden werden. Auf einem durchsichtigen aber trennenden Vordergrund sieht man den aus vielen Pinselstrichen zusammengesetzten Kopf eines Löwenmannes, der sein Maul aufreißt und kräftig brüllt. Nur das Ohr hat sich verfestigt. Zu dem Kopf gibt es vom Künstler eine ganze Serie von Zeichnungen, Ölarbeiten auf Papier, Ölgemälden und dieses Bild.
Unten links steht ein bunter Wanderturnschuh vor einer ockerfarbigen Fläche. Er steht nicht auf dieser Fläche. So wenig wie das Haus unten rechts in einer Landschaft steht. Es gibt keine proportional eindeutigen Raumebenen. Wie ein Schleier ist die Membrane da. Das Vorne will sich mit dem Hinteren verbinden. Die Dinge schwingen, klingen ineinander und umeinander wie Erinnerung. In einer anderen Ebene, sieht man ein kleines Haus mit Fenster, Tür und Dachgiebel, wie schwebend vor blauem Grund. Hinter Löwenkopf, Haus und dem Schuh links und dem anderen Haus rechts unten stürzt ein Wasserfall ins Bodenlose. Das Wasser fällt über die Bruchkante von Felsen, keiner weiß wohin. Der Künstler nimmt die Betrachter mit, bei dem Versuch, in das Bild einzusteigen.

Links wird das Gemälde von einer nackten Figur abgeschlossen. Man sieht sie von hinten. Sie schaut nach rechts. Die Sonnenbrille, die üppige Frisur, der Lippenstift, das altrosa Teint der Haut lassen vermuten, dass es sich um eine Frau handelt. Man sieht nicht, wo und wie sie steht und kann nur vermuten, dass sie auf den Damenschuh rechts über dem Haus schaut, über dem sich eine Brücke nach oben schichtet, auf der der Schuh steht. Spannend für den Betrachter ist die Art, wie der Künstler die gewohnte Tiefenstaffelung aufhebt und stattdessen eine Aneinanderreihung bzw. Höhenstaffelung der Gegenstände in sein Kunstwerk einführt. Das wirkt brutal elementar.
Die Staffelung der Tiefenschichten im Übereinander erinnert an den Meister Bertram von Minden und seinen Altar in der Hamburger Kunsthalle, der zwischen 1379-1383 geschaffen wurde. In der Szene, wo Gottvater die Tiere erschafft, nimmt der Schöpfer die dominante Mitte ein und die geschaffenen Tiere reihen sich im Übereinander, links die Säuger von Ochs bis Hase und rechts die Fische und das Federvieh. In dieser Zeit und in diesem Bild gibt es keinen Raum, kein Raumkontinuum, aber eine deutliche Präsenz aller Teile in einer vorderen Erzähl- und Geschehensebene. 

Bei Tayali sehen wir rechts unten Haus, Brücke über blauem Fluss, roter Damenschuh mit buntem Muster und drei Figuren. Links unten steht der bunte Wanderschuh, darüber streckt sich die nackte Figur, durch die sich verschiedene farbliche Schleier ziehen, zum Beispiel das Blau des Wasserfalls. Die Mitte wird von den Strichen mit dem schreienden Löwen gefüllt, einem Haus in Höhe seiner Kinnlade, dem Wasserfall und einer Flusslandschaft.
Zuordnungen kann man nur schwer vornehmen. Gehört der Löwe zu dem Schuh? Ist der Schuh der Rest einer appetitlichen Mahlzeit, wie Schalen vom Muschelessen gewissermaßen? Oder gehört der Schuh zu der androgynen Figur links mit breiten Schultern? Und was sind das für drei Burschen oben rechts? Der mittlere schaut abschätzend nach unten, als wollte er einen Staudamm bauen. Der Linke trägt einen Rucksack und wie die rechte Figur eine Schirmkappe.
 
Vielleicht ist einer der Maler selbst, der am Ufer lange Tage steht  und Erinnerung speichert von Wasserrauschen, Wärme, Wildtiergeruch, von der Hitze der Erde, der Buntheit der Menschen und der unbegrenzten wilden Freiheit, die es im Leben aller Menschen nur als Utopie gibt. Es scheint so, als würden Erinnerungsfetzen als bunte Flicken zusammengetragen. Das Bild hat neben einer Erzählstruktur einen dynamisch abstrakten Rhythmus in der Farbniederschrift. Tatsächlich gibt’s es im Werk Tayalis expressiv abstrakte, nur aus der Farbe geborene emotionale Niederschriften. [..]

Gemalte Zeichnungen mit starker Symbolkraft
Zu den neuen Bildserien von Rhodrick Tayali 
 
Symbolhafte zeichnerische Bildelemente wie Porträts, Menschenbilder, aber auch Tiermotive, die vor prall gefüllte, farbstarke Hintergründe mit unterschiedlichen Bildinhalten und Perspektiven gesetzt sind, bestimmen die neuen Bildserien von Rhodrick Tayali. 
 
In seinen Malereien benutzt Rhodrick Tayali klassische Techniken der Zeichnung, die er in seine Gemälde übersetzt. Seine Hauptmotive bestehen aus wenigen, bewusst gesetzten Linien, reduzierte Umrisse beschränken sich auf die wesentlichen Merkmale der Motive. Diese Hauptmotive werden ergänzt von  und skizzenhaften Bildelementen und befinden sich auf, vor oder über expressiv-farbigen, detailreichen Hintergründen mit unterschiedlichsten, sich teilweise überlagernden Schichten, in denen die Perspektive mehrfach wechselt: die Betrachterinnen und Betrachter werden geradezu in den Sog der Bildhintergründe von Rhodrick Tayali hineingezogen.   
 
Tayalis neue Bildserien kann man als mit Farbe gefüllte Zeichnungen sehen, die eine vordergründige Bedeutungsebene haben, aber bei langem Hinsehen noch viele Ebenen offenbaren. Auch der Malprozess erfolgt nach und nach in Schichten, die sich langsam entfalten. Ein genaues Hinsehen lässt plötzlich ganz neue Motive aus den Linien und Farbfeldern entstehen, die sich hinter dem Hauptmotiv verbergen. 
 
Über beinahe zwei Jahrzehnte arbeitete Rhodrick Tayali nach einer frühen, gegenständlichen Phase überwiegend abstrakt-expressionistisch. In den Gemälden dieser Werkphase vereinte Tayali die typischen, intensiven afrikanischen Farben, die er in seiner Kindheit erlebt hat, mit einer europäisch geprägten Sichtweise. 
 
In den Jahren von 2021 bis 2024 nahm Rhodrick Tayali eine Abkehr von dieser bis dahin vorherrschenden, nach innen gekehrten abstrakt-expressionistischen Malerei vor und wandte sich einer gegenständlichen Malweise zu, die geprägt ist von Komplementärfarben, symbolhaften Bildelementen und einer ausgeprägten Linienführung, kombiniert mit farbstarken Partien, die den Übergang in die Abstraktion bilden. 
Dabei wiederholen sich viele skizzenartige, symbolhafte Bildelemente, die immer wieder in den unterschiedlichsten Kombinationen auftauchen und für Inhalte stehen, die den Künstler auf seiner Suche nach einer Brücke zwischen afrikanischen und europäischen Einflüssen intensiv beschäftigen.    
 
Es sind mehrere Bildserien entstanden in dieser Zeit: Die Porträtreihe mit Hommagen an verschiedene historische und aktuelle Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die sich für die Rechte der Schwarzen sowie für die Werte der Demokratie einsetzen entstand in den Jahren 2022 und 2023 und wurde im Frühjahr 2023 erstmals in der Ausstellung “The Spirit of Africa” in der Städtischen Galerie in Schwalenberg ausgestellt.[1]
 
Vorkämpfer für die Rechte der Schwarzen wie Nelson Mandela und Martin Luther King stehen in einer Reihe mit Politikern wie Konrad Adenauer, Willy Brand, Barack Obama und Frank-Walter Steinmeier sowie dem New Yorker Künstler Melvin Edwards. 
Auffällig sind in der Porträtreihe vor allem die expressiven Farben, die violette, blaue, grüne oder rote Farbfelder als Komplementärkontraste in den Gesichtern zulassen. Diese expressive Farbgebung mit Komplementärkontrasten wurde in einigen Bildpartien abgemildert zu einer weicheren Farbpalette durch das Mischen der Farben mit Weiß, Grau ud Braun, was in der Farbgebung Tayalis bis dahin nicht vorkam. Weiß fängt die Farbgewalt der Bilder von Tayali auf und neutralisiert die Farben etwas – man kann auch sagen: mildert sie ab und passt sie den stärker vorherrschenden Blauwerten im Licht der nördlichen Erdhalbkugel an – im Gegensatz zum Licht mit viel Gelbwert am Äquator, welches die afrikanischen Farben intensiv leuchten lässt. Farben und Flächen sind leichter gestaltet als in den früheren Bildern und im Hintergrund finden sich mehr Flächen als Linien. 
Die Hintergründe sind symbolisch zu verstehen: bei Nelson Mandela im Hintergrund die gekreuzten Ketten als Symbol für die Befreiung aus der – realen und geistigen – Gefangenschaft, vor einer afrikanisch anmutenden Landschaft. Ketten sowie eine Skyline mit Hochhäusern finden sich im Hintergrund des New Yorker Künstlers Melvin Edwards, der für seine Installationen mit Stahlketten bekannt ist. Immer wieder finden sich Vögel, in allen Porträts, als Symbole für das Streben nach Freiheit und Leichtigkeit. Brücken erscheinen als Symbole für Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Kulturen, aber auch im zwischenmenschlichen Bereich. Brücken stehen bei Tayali als Symbol für den Menschen: Für eine soziale Interaktion müssen immer wieder geistige Brücken gebaut werden. 
Parallel zu dieser Porträtserie entstand seit 2021 die “Peace Fighter“ -Serie, die mit dem Boxer Muhammad Ali begann, der eine Ikone für die schwarze Bewegung in den 1960er Jahren war. Neben Ali werden auch Boxer wie Mike Tyson und andere porträtiert.  
Die Boxerserie steht zum Einen für Ikonen des Sports, die der schwarzen Bevölkerung Selbstbewusstsein gegeben haben und die wichtig waren und sind für den gesellschaftlichen  Kampf für die Rechte der Schwarzen. Zum Anderen stehen diese Arbeiten auch symbolisch für den schwierigen Lebensweg des Künstlers, der sich “durch das Leben boxen” musste. 
 
Auch Serien wie jene mit Porträts der Schauspielerin Angelina Jolie haben einen persönlichen Hintergrund: Jolie adoptierte mehrere Kinder unterschiedlicher Hautfarbe und steht damit symbolisch für jemandem, der einem Kind ein Zuhause und eine neue kulturelle Identität gibt, wie es auch Tayali erfuhr durch das Aufwachsen in einer deutschen Familie, die enge Freunde seines Vaters und seiner früh verstorbenen Mutter waren. 
 
Die Kunst Tayalis ist geprägt von einer Suche nach Wurzeln, einer Spurensuche, einer Suche nach der eigenen Identität, die zerrissen ist zwischen zwei Kulturen und durch die Kunst vereint wird. Daher kommen in Tayalis Werken oftmals Tiere vor, die typisch sind für die Tierwelt Afrikas und als Symbol gesehen werden können für eine Identitätssuche. Auch einige der Landschaften sowie Bauwerke erscheinen typisch afrikanisch – jedoch aus einer Vergangenheit, die im heutigen Afrika in dieser Idylle nicht mehr existiert. Der Künstler ruft somit auch eine Vergangenheit wach, die zerstört und verloren ist, und die ihm vor allem durch die Werke seines Vaters Henry Tayali präsent ist.[2]  
 
Zwei Bildserien hat Tayali schon lange zeichnerisch vorbereitet: So arbeitet er seit zehn Jahren an einer Lion / Lioness-Serie sowie an einer Elephant-Serie, die er seit 2022 auch in Farbe umsetzt. 
Zur Kommunikation mit den Betrachterinnen und Betrachtern setzt Tayali einfache Symbole ein und lädt dazu ein, die eigene Phantasie und Seherfahrung zur Entschlüsselung seiner Bildinhalte hinzuzuziehen.  So ist der Löwe ein Symbol für Lebenskraft, Ruhe und Stärke. Der Elefant symbolisiert Weisheit, Ruhe, Stärke und Feinfühligkeit. Beide Tiere stehen plakativ für die Tierwelt Afrikas und gehen dennoch darüber hinaus. Das liegt wiederum an den unterschiedlichen Hintergründen, vor die diese skizzenhaft ausgeführten und dennoch sorgfältig gemalten Tiere gesetzt sind. 
Auch im Ausdruck der Tiere zeigt sich Tayalis Spiel mit der Phantasie der Betrachterinnen und Betrachter: der Löwe und auch die Löwin sind mit weit aufgerissenem Maul und spitzen Zähnen im Profil gezeigt. Gegensätzlich zu dem brüllenden Maul wirkt die ruhige Haltung der Tiere: sie liegen, die Löwin hat die Pfoten gefaltet, und sie beanspruchen ihren Raum allein durch die Geste des Brüllens. 
Der Elefant hingegen schreitet ruhig und majestätisch auf die Betrachterinnen und Betrachter zu und beeindruckt durch seine schiere Größe. In seinen Augen ist Klugheit zu erkennen, die Haltung suggeriert eine ruhige, machtvolle Präsenz. 
Interessant wird es auch hier wieder durch die unterschiedlichen Hintergründe: So befindet sich keines der Tiere in seinem natürlichen Umfeld, sondern ist vor verschiedene Szenarien platziert. Der Elefantenbulle schreitet vor kleinteilig wirkenden Landschaften mit Bäumen, Gebäuden, Zäunen und Flüssen. Oder es finden sich  Personen, die im Hintergrund auf Stühlen sitzen wie im Garten oder in einem Raum und sich unterhalten oder Pfeife rauchen,  umgeben von skizzenhaft hingeworfenen Tierporträts wie Vögeln, Affen und Gazellen, sowie einem Dorf im Hintergrund. Der Horizont ist durchzogen von Brücken und Linien, und auch Silhouetten von Vögeln sind zu sehen sowie weitere Symbole wie Herz, Quadrat, Frauenschuhe sowie Häuser, Hütten und afrikanisch wirkende Bäume mit ausladenden Kronen.  Die Elemente wie Wasser, Erde und Wind werden spielerisch eingesetzt. Der Betrachter soll die Assoziationen von Gewitter, Sturm, Wind und fließendem Wasser haben, wobei einige Motive eher Kälte assoziieren, andere Wärme.
Auch Löwe und Löwin befinden sich vor unterschiedlichen Hintergründen, hier setzt Tayali noch stärker das Element der diagonalen Linien und Andreaskreuze ein, die manchmal sogar über dem Hauptmotiv gekreuzt sind, ohne das Motiv dabei zu zerstören. Die einzelnen Bildflächen werden so in unterschiedliche Partien eingeteilt, in denen manchmal die Perspektive wechselt. Das Spiel mit der Raumillusion kombiniert Tayali mit Symbolen, die immer wieder wie zufällig hingeworfenen Versatzstücke auftauchen: neben Gebäuden als Symbole für die Zivilisation und Frauenschuhen als Symbol für die Weiblichkeit immer wieder Vögel, Bäume, Flüsse und Brücken, aber auch durchscheinend wirkende skizzenhafte Figuren mit Militärhelm, Doktorhut oder Frauenkörper in aufreizenden Posen sowie Gesichter, die die Betrachterin oder den Betrachter direkt anblicken, aber von Sonnenbrillen verborgene Augen haben. 
All diese Elemente sind mit feinen Linien gemalt und durchscheinend vor die Farbflächen der Hintergründe gesetzt. Sie überlagern sich in Schichten, wobei diese oft perspektivisch gesehen nicht eindeutig zuzuordnen sind. So entpuppen sich die Bilder als Rätsel, deren einzelne Elemente sich erst langsam offenbaren. 
 
Die jüngsten Bilder zeigen mit der Serie “Women in Love” eine Frauenfigur in plakativ erotischer Haltung vor den typischen unterschiedlichen Hintergründen, in Räumen, die vielleicht eine Veranda oder ein großes Fenster sein könnten, umgeben von Symbolen wie Herz oder Blumensträußen. 
 
Viele der neu entstandenen Arbeiten bezeichnet Tayali als seine “Rosa Periode”.  Künstlerisch gesehen schließt diese “Rosa Periode”, zu denen die Porträts von Angelina Jolie sowie die Frauenfiguren “Women in Love” aber auch der Elefantenbulle und einige Werke der Löwenserie gehören, an die “Interspektionen-Reihe” an. Diese Werkreihe entstand in den Jahren von 2003 bis 2016.  Dominierendes Farbschema war ein helles Blau, kombiniert mit Weiß sowie hellen gelb-orangen oder grünen Farbverläufen. Die Thematik dieser Arbeiten ist eine Suche nach Brücken zwischen zwei Kulturen: der Europäischen und der Afrikanischen, die beide den Künstler geprägt haben. 
Der Titel Interspektionen ist ein abgewandelter Begriff aus der Psychoanalyse. Sigmund Freud prägte den Begriff „Introspektion“, was so viel bedeutet wie Innensicht. Demnach ist die Interspektion die Innensicht zwischen zwei Welten. Mit „zwei Welten“ ist nicht nur der Unterschied der beiden Kontinente Afrika und Europa gemeint in Bezug auf die Wahrnehmung von Farben und Formen, sondern vor allem eine künstlich erzeugte Trennung innerhalb einer Gesellschaft. [3]
 
Der Unterschied zu den früheren “Interspektionen”-Werken ist, dass in der rosa Periode eine reichhaltigere Bildsprache mit mehr skizzenhaften Formen zu sehen ist. Der Bildhintergrund bleibt jedoch in Teilen abstrakt-expressiv. Die darüber gesetzten Skizzen drücken ernste Situationen im Leben mit Leichtigkeit aus. Dies geschieht jedoch nicht spielerisch spontan, sondern wohl überlegt wird die kurze oder lange Linie mit Pinsel oder Spachtel gezogen, die Fläche mit Pinsel und Spachtel so gestaltet, dass sich bei längerer Betrachtung der Bilder neue Formen ergeben. Alle Bilder Tayalis sind vielschichtig und mit Tiefe angelegt. Es gibt Vorder-, Mittel- und Hintergrund, sowie Diagonalen, die alle Ebenen verbinden und zugleich spalten. So erzeugt Tayali ein Bild im Bild und erzeugt Raumtiefe, obwohl er sich von der klassischen Zentralperspektive abgekehrt hat. In Tayalis Bildern stehen die unterschiedlichsten Perspektiven scheinbar mühelos nebeneinander oder auch übereinander und lassen einen Raum entstehen, der nicht eindeutig zu betreten ist, dennoch eine faszinierende visuelle Blickführung erlaubt. Die vielen Linien und Striche, die Tayali verwendet, geben ihm die gestalterischen Möglichkeiten, Bereiche der Formen aufzuhellen oder zu betonen, und geben der Fläche die Möglichkeit, sich auszudehnen. 
 
Tayali spielt in seinen Bildmotiven mit Stereotypen. Das Internet, vor allem die sozialen Medien, setzt uns Benutzerinnen und Benutzern Bilder vor, die wir häufig akzeptieren, ohne sie zu hinterfragen. Der Künstler konfrontiert uns mit vordergründig stereotypen Motiven, die unseren Sehgewohnheiten entsprechen. Hinter diesen plakativen Bildelementen verbergen sich bei Tayali jedoch verschiedene Bedeutungsebenen in Schichten, die sich den Betracherinnen und Betrachtern erst nach und nach erschließen – wenn diese sich intensiv mit den Motiven auseinandersetzen und quasi an der Oberfläche vorbeischauen. Tayalis Motive regen zum Denken und Hinterfragen an – und führen uns unsere unreflektierten Sehgewohnheiten vor Augen. Das eigentliche Geschehen spielt sich in Tayalis Bildern in den Hintergründen ab – die geprägt sind von Unterteilungen durch Linien, oftmals in der Diagonalen. Diese Linien führen Perspektivwechsel mit sich- in vielen Bildern finden sich zugleich eine Vogel- als auch eine Froschperspektive, die das Auge gleichzeitig erfassen kann. Die klassische Zentralperspektive kommt in Tayalis Werken nicht vor, vielmehr spielt er mit zweidimensionalen Elementen, wie den Hauptmotiven, die wohlüberlegt mit dem Pinsel oder Spachtel als gemalte Zeichnungen auf die oftmals sehr farbstarken und detailreichen Hintergründe gesetzt sind. Die Hintergründe sind wiederum durch Linien sowie Elemente wie Flüsse, Gebäude oder Straßen in verschiedene Partien unterteilt, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln gesehen sind. So lassen sich auf einen Blick mehr Perspektiven und Ebenen  erfassen, als dies in der Realität möglich ist. Tayali führt uns vor Augen, dass die Sehgewohnheiten aus Zeiten des Internets eindimensional sein können, die Glaubwürdigkeit von Bilderfluten immer hinterfragt werden sollte – und das menschliche Denken für das Erfassen von Vielschichtigkeiten in Abbildungen eine wichtige Rolle spielt. 
 
 
 
Text: Dr. Mayarí Granados, Kunsthistorikerin, Stv. Direktorin / Kunstreferentin der Lippischen Kulturagentur, Landesverband Lippe, im Oktober 2024
 


[1] Siehe Ausstellungskatalog Rhodrick Tayali. The Spirit of Africa. Hrsg.: Mayarí Granados, Lippische Kulturagentur, Landesverband Lippe, Lemgo 2023.
 
 
[2] Siehe dazu auch: Text von M.Granados im Katalog “Spirit of Africa”, 2023. 
[3] Vgl. auch: M. Granados in: Spirit of Africa, 2023. 

Gemalte Zeichnungen mit starker Symbolkraft

Zu den neuen Bildserien von Rhodrick Tayali

 

Symbolhafte zeichnerische Bildelemente wie Porträts, Menschenbilder, aber auch Tiermotive, die vor prall gefüllte, farbstarke Hintergründe mit unterschiedlichen Bildinhalten und Perspektiven gesetzt sind, bestimmen die neuen Bildserien von Rhodrick Tayali.

 

In seinen Malereien benutzt Rhodrick Tayali klassische Techniken der Zeichnung, die er in seine Gemälde übersetzt. Seine Hauptmotive bestehen aus wenigen, bewusst gesetzten Linien, reduzierte Umrisse beschränken sich auf die wesentlichen Merkmale der Motive. Diese Hauptmotive werden ergänzt von  und skizzenhaften Bildelementen und befinden sich auf, vor oder über expressiv-farbigen, detailreichen Hintergründen mit unterschiedlichsten, sich teilweise überlagernden Schichten, in denen die Perspektive mehrfach wechselt: die Betrachterinnen und Betrachter werden geradezu in den Sog der Bildhintergründe von Rhodrick Tayali hineingezogen.  

 

Tayalis neue Bildserien kann man als mit Farbe gefüllte Zeichnungen sehen, die eine vordergründige Bedeutungsebene haben, aber bei langem Hinsehen noch viele Ebenen offenbaren. Auch der Malprozess erfolgt nach und nach in Schichten, die sich langsam entfalten. Ein genaues Hinsehen lässt plötzlich ganz neue Motive aus den Linien und Farbfeldern entstehen, die sich hinter dem Hauptmotiv verbergen.

 

Über beinahe zwei Jahrzehnte arbeitete Rhodrick Tayali nach einer frühen, gegenständlichen Phase überwiegend abstrakt-expressionistisch. In den Gemälden dieser Werkphase vereinte Tayali die typischen, intensiven afrikanischen Farben, die er in seiner Kindheit erlebt hat, mit einer europäisch geprägten Sichtweise.

 

In den Jahren von 2021 bis 2024 nahm Rhodrick Tayali eine Abkehr von dieser bis dahin vorherrschenden, nach innen gekehrten abstrakt-expressionistischen Malerei vor und wandte sich einer gegenständlichen Malweise zu, die geprägt ist von Komplementärfarben, symbolhaften Bildelementen und einer ausgeprägten Linienführung, kombiniert mit farbstarken Partien, die den Übergang in die Abstraktion bilden.

Dabei wiederholen sich viele skizzenartige, symbolhafte Bildelemente, die immer wieder in den unterschiedlichsten Kombinationen auftauchen und für Inhalte stehen, die den Künstler auf seiner Suche nach einer Brücke zwischen afrikanischen und europäischen Einflüssen intensiv beschäftigen.   

 

Es sind mehrere Bildserien entstanden in dieser Zeit: Die Porträtreihe mit Hommagen an verschiedene historische und aktuelle Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die sich für die Rechte der Schwarzen sowie für die Werte der Demokratie einsetzen entstand in den Jahren 2022 und 2023 und wurde im Frühjahr 2023 erstmals in der Ausstellung “The Spirit of Africa” in der Städtischen Galerie in Schwalenberg ausgestellt.[1]

 

Vorkämpfer für die Rechte der Schwarzen wie Nelson Mandela und Martin Luther King stehen in einer Reihe mit Politikern wie Konrad Adenauer, Willy Brand, Barack Obama und Frank-Walter Steinmeier sowie dem New Yorker Künstler Melvin Edwards.

Auffällig sind in der Porträtreihe vor allem die expressiven Farben, die violette, blaue, grüne oder rote Farbfelder als Komplementärkontraste in den Gesichtern zulassen. Diese expressive Farbgebung mit Komplementärkontrasten wurde in einigen Bildpartien abgemildert zu einer weicheren Farbpalette durch das Mischen der Farben mit Weiß, Grau ud Braun, was in der Farbgebung Tayalis bis dahin nicht vorkam. Weiß fängt die Farbgewalt der Bilder von Tayali auf und neutralisiert die Farben etwas – man kann auch sagen: mildert sie ab und passt sie den stärker vorherrschenden Blauwerten im Licht der nördlichen Erdhalbkugel an – im Gegensatz zum Licht mit viel Gelbwert am Äquator, welches die afrikanischen Farben intensiv leuchten lässt. Farben und Flächen sind leichter gestaltet als in den früheren Bildern und im Hintergrund finden sich mehr Flächen als Linien.

Die Hintergründe sind symbolisch zu verstehen: bei Nelson Mandela im Hintergrund die gekreuzten Ketten als Symbol für die Befreiung aus der – realen und geistigen – Gefangenschaft, vor einer afrikanisch anmutenden Landschaft. Ketten sowie eine Skyline mit Hochhäusern finden sich im Hintergrund des New Yorker Künstlers Melvin Edwards, der für seine Installationen mit Stahlketten bekannt ist. Immer wieder finden sich Vögel, in allen Porträts, als Symbole für das Streben nach Freiheit und Leichtigkeit. Brücken erscheinen als Symbole für Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Kulturen, aber auch im zwischenmenschlichen Bereich. Brücken stehen bei Tayali als Symbol für den Menschen: Für eine soziale Interaktion müssen immer wieder geistige Brücken gebaut werden.

Parallel zu dieser Porträtserie entstand seit 2021 die “Peace Fighter“ -Serie, die mit dem Boxer Muhammad Ali begann, der eine Ikone für die schwarze Bewegung in den 1960er Jahren war. Neben Ali werden auch Boxer wie Mike Tyson und andere porträtiert. 

Die Boxerserie steht zum Einen für Ikonen des Sports, die der schwarzen Bevölkerung Selbstbewusstsein gegeben haben und die wichtig waren und sind für den gesellschaftlichen  Kampf für die Rechte der Schwarzen. Zum Anderen stehen diese Arbeiten auch symbolisch für den schwierigen Lebensweg des Künstlers, der sich “durch das Leben boxen” musste.

 

Auch Serien wie jene mit Porträts der Schauspielerin Angelina Jolie haben einen persönlichen Hintergrund: Jolie adoptierte mehrere Kinder unterschiedlicher Hautfarbe und steht damit symbolisch für jemandem, der einem Kind ein Zuhause und eine neue kulturelle Identität gibt, wie es auch Tayali erfuhr durch das Aufwachsen in einer deutschen Familie, die enge Freunde seines Vaters und seiner früh verstorbenen Mutter waren.

 

Die Kunst Tayalis ist geprägt von einer Suche nach Wurzeln, einer Spurensuche, einer Suche nach der eigenen Identität, die zerrissen ist zwischen zwei Kulturen und durch die Kunst vereint wird. Daher kommen in Tayalis Werken oftmals Tiere vor, die typisch sind für die Tierwelt Afrikas und als Symbol gesehen werden können für eine Identitätssuche. Auch einige der Landschaften sowie Bauwerke erscheinen typisch afrikanisch – jedoch aus einer Vergangenheit, die im heutigen Afrika in dieser Idylle nicht mehr existiert. Der Künstler ruft somit auch eine Vergangenheit wach, die zerstört und verloren ist, und die ihm vor allem durch die Werke seines Vaters Henry Tayali präsent ist.[2] 

 

Zwei Bildserien hat Tayali schon lange zeichnerisch vorbereitet: So arbeitet er seit zehn Jahren an einer Lion / Lioness-Serie sowie an einer Elephant-Serie, die er seit 2022 auch in Farbe umsetzt.

Zur Kommunikation mit den Betrachterinnen und Betrachtern setzt Tayali einfache Symbole ein und lädt dazu ein, die eigene Phantasie und Seherfahrung zur Entschlüsselung seiner Bildinhalte hinzuzuziehen.  So ist der Löwe ein Symbol für Lebenskraft, Ruhe und Stärke. Der Elefant symbolisiert Weisheit, Ruhe, Stärke und Feinfühligkeit. Beide Tiere stehen plakativ für die Tierwelt Afrikas und gehen dennoch darüber hinaus. Das liegt wiederum an den unterschiedlichen Hintergründen, vor die diese skizzenhaft ausgeführten und dennoch sorgfältig gemalten Tiere gesetzt sind.

Auch im Ausdruck der Tiere zeigt sich Tayalis Spiel mit der Phantasie der Betrachterinnen und Betrachter: der Löwe und auch die Löwin sind mit weit aufgerissenem Maul und spitzen Zähnen im Profil gezeigt. Gegensätzlich zu dem brüllenden Maul wirkt die ruhige Haltung der Tiere: sie liegen, die Löwin hat die Pfoten gefaltet, und sie beanspruchen ihren Raum allein durch die Geste des Brüllens.

Der Elefant hingegen schreitet ruhig und majestätisch auf die Betrachterinnen und Betrachter zu und beeindruckt durch seine schiere Größe. In seinen Augen ist Klugheit zu erkennen, die Haltung suggeriert eine ruhige, machtvolle Präsenz.

Interessant wird es auch hier wieder durch die unterschiedlichen Hintergründe: So befindet sich keines der Tiere in seinem natürlichen Umfeld, sondern ist vor verschiedene Szenarien platziert. Der Elefantenbulle schreitet vor kleinteilig wirkenden Landschaften mit Bäumen, Gebäuden, Zäunen und Flüssen. Oder es finden sich  Personen, die im Hintergrund auf Stühlen sitzen wie im Garten oder in einem Raum und sich unterhalten oder Pfeife rauchen,  umgeben von skizzenhaft hingeworfenen Tierporträts wie Vögeln, Affen und Gazellen, sowie einem Dorf im Hintergrund. Der Horizont ist durchzogen von Brücken und Linien, und auch Silhouetten von Vögeln sind zu sehen sowie weitere Symbole wie Herz, Quadrat, Frauenschuhe sowie Häuser, Hütten und afrikanisch wirkende Bäume mit ausladenden Kronen.  Die Elemente wie Wasser, Erde und Wind werden spielerisch eingesetzt. Der Betrachter soll die Assoziationen von Gewitter, Sturm, Wind und fließendem Wasser haben, wobei einige Motive eher Kälte assoziieren, andere Wärme.

Auch Löwe und Löwin befinden sich vor unterschiedlichen Hintergründen, hier setzt Tayali noch stärker das Element der diagonalen Linien und Andreaskreuze ein, die manchmal sogar über dem Hauptmotiv gekreuzt sind, ohne das Motiv dabei zu zerstören. Die einzelnen Bildflächen werden so in unterschiedliche Partien eingeteilt, in denen manchmal die Perspektive wechselt. Das Spiel mit der Raumillusion kombiniert Tayali mit Symbolen, die immer wieder wie zufällig hingeworfenen Versatzstücke auftauchen: neben Gebäuden als Symbole für die Zivilisation und Frauenschuhen als Symbol für die Weiblichkeit immer wieder Vögel, Bäume, Flüsse und Brücken, aber auch durchscheinend wirkende skizzenhafte Figuren mit Militärhelm, Doktorhut oder Frauenkörper in aufreizenden Posen sowie Gesichter, die die Betrachterin oder den Betrachter direkt anblicken, aber von Sonnenbrillen verborgene Augen haben.

All diese Elemente sind mit feinen Linien gemalt und durchscheinend vor die Farbflächen der Hintergründe gesetzt. Sie überlagern sich in Schichten, wobei diese oft perspektivisch gesehen nicht eindeutig zuzuordnen sind. So entpuppen sich die Bilder als Rätsel, deren einzelne Elemente sich erst langsam offenbaren.

 

Die jüngsten Bilder zeigen mit der Serie “Women in Love” eine Frauenfigur in plakativ erotischer Haltung vor den typischen unterschiedlichen Hintergründen, in Räumen, die vielleicht eine Veranda oder ein großes Fenster sein könnten, umgeben von Symbolen wie Herz oder Blumensträußen.

 

Viele der neu entstandenen Arbeiten bezeichnet Tayali als seine “Rosa Periode”.  Künstlerisch gesehen schließt diese “Rosa Periode”, zu denen die Porträts von Angelina Jolie sowie die Frauenfiguren “Women in Love” aber auch der Elefantenbulle und einige Werke der Löwenserie gehören, an die “Interspektionen-Reihe” an. Diese Werkreihe entstand in den Jahren von 2003 bis 2016.  Dominierendes Farbschema war ein helles Blau, kombiniert mit Weiß sowie hellen gelb-orangen oder grünen Farbverläufen. Die Thematik dieser Arbeiten ist eine Suche nach Brücken zwischen zwei Kulturen: der Europäischen und der Afrikanischen, die beide den Künstler geprägt haben.

Der Titel Interspektionen ist ein abgewandelter Begriff aus der Psychoanalyse. Sigmund Freud prägte den Begriff „Introspektion“, was so viel bedeutet wie Innensicht. Demnach ist die Interspektion die Innensicht zwischen zwei Welten. Mit „zwei Welten“ ist nicht nur der Unterschied der beiden Kontinente Afrika und Europa gemeint in Bezug auf die Wahrnehmung von Farben und Formen, sondern vor allem eine künstlich erzeugte Trennung innerhalb einer Gesellschaft. [3]

 

Der Unterschied zu den früheren “Interspektionen”-Werken ist, dass in der rosa Periode eine reichhaltigere Bildsprache mit mehr skizzenhaften Formen zu sehen ist. Der Bildhintergrund bleibt jedoch in Teilen abstrakt-expressiv. Die darüber gesetzten Skizzen drücken ernste Situationen im Leben mit Leichtigkeit aus. Dies geschieht jedoch nicht spielerisch spontan, sondern wohl überlegt wird die kurze oder lange Linie mit Pinsel oder Spachtel gezogen, die Fläche mit Pinsel und Spachtel so gestaltet, dass sich bei längerer Betrachtung der Bilder neue Formen ergeben. Alle Bilder Tayalis sind vielschichtig und mit Tiefe angelegt. Es gibt Vorder-, Mittel- und Hintergrund, sowie Diagonalen, die alle Ebenen verbinden und zugleich spalten. So erzeugt Tayali ein Bild im Bild und erzeugt Raumtiefe, obwohl er sich von der klassischen Zentralperspektive abgekehrt hat. In Tayalis Bildern stehen die unterschiedlichsten Perspektiven scheinbar mühelos nebeneinander oder auch übereinander und lassen einen Raum entstehen, der nicht eindeutig zu betreten ist, dennoch eine faszinierende visuelle Blickführung erlaubt. Die vielen Linien und Striche, die Tayali verwendet, geben ihm die gestalterischen Möglichkeiten, Bereiche der Formen aufzuhellen oder zu betonen, und geben der Fläche die Möglichkeit, sich auszudehnen.

 

Tayali spielt in seinen Bildmotiven mit Stereotypen. Das Internet, vor allem die sozialen Medien, setzt uns Benutzerinnen und Benutzern Bilder vor, die wir häufig akzeptieren, ohne sie zu hinterfragen. Der Künstler konfrontiert uns mit vordergründig stereotypen Motiven, die unseren Sehgewohnheiten entsprechen. Hinter diesen plakativen Bildelementen verbergen sich bei Tayali jedoch verschiedene Bedeutungsebenen in Schichten, die sich den Betracherinnen und Betrachtern erst nach und nach erschließen – wenn diese sich intensiv mit den Motiven auseinandersetzen und quasi an der Oberfläche vorbeischauen. Tayalis Motive regen zum Denken und Hinterfragen an – und führen uns unsere unreflektierten Sehgewohnheiten vor Augen. Das eigentliche Geschehen spielt sich in Tayalis Bildern in den Hintergründen ab – die geprägt sind von Unterteilungen durch Linien, oftmals in der Diagonalen. Diese Linien führen Perspektivwechsel mit sich- in vielen Bildern finden sich zugleich eine Vogel- als auch eine Froschperspektive, die das Auge gleichzeitig erfassen kann. Die klassische Zentralperspektive kommt in Tayalis Werken nicht vor, vielmehr spielt er mit zweidimensionalen Elementen, wie den Hauptmotiven, die wohlüberlegt mit dem Pinsel oder Spachtel als gemalte Zeichnungen auf die oftmals sehr farbstarken und detailreichen Hintergründe gesetzt sind. Die Hintergründe sind wiederum durch Linien sowie Elemente wie Flüsse, Gebäude oder Straßen in verschiedene Partien unterteilt, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln gesehen sind. So lassen sich auf einen Blick mehr Perspektiven und Ebenen  erfassen, als dies in der Realität möglich ist. Tayali führt uns vor Augen, dass die Sehgewohnheiten aus Zeiten des Internets eindimensional sein können, die Glaubwürdigkeit von Bilderfluten immer hinterfragt werden sollte – und das menschliche Denken für das Erfassen von Vielschichtigkeiten in Abbildungen eine wichtige Rolle spielt.

 

 

 

Text: Dr. Mayarí Granados, Kunsthistorikerin, Stv. Direktorin / Kunstreferentin der Lippischen Kulturagentur, Landesverband Lippe, im Oktober 2024

 

[1] Siehe Ausstellungskatalog Rhodrick Tayali. The Spirit of Africa. Hrsg.: Mayarí Granados, Lippische Kulturagentur, Landesverband Lippe, Lemgo 2023.

 

 

[2] Siehe dazu auch: Text von M.Granados im Katalog “Spirit of Africa”, 2023.

[3] Vgl. auch: M. Granados in: Spirit of Africa, 2023.

On the works of Rhodrick Tayali

by Mayarí Granados

 

Luminous, intense colors, especially blue in a wide variety of shades, dominate many of Rhodrick Tayalis abstract oil paintings. Despite all the color intensity, most of these paintings do not seem exciting, but rather meditative-calming, have a positive color charisma: so next to bright blue is often found bright red or yellow – and orange shades. The color is applied in layers, giving it an intense luminosity. If you look more closely, you can see figurative parts between the abstract layers of color and their gradients, which, as it were, rise from the abstract areas – bridges, birds, streets, but also faces. The color blue has an important symbolic power for the artist. Blue first of all builds up a cool distance, striving away from the viewer, whereas the red comes towards the viewer, often very exciting, to the point of a certain aggressiveness. Blue, on the other hand, allows distance, evokes tranquility, as does the view of the sea or the sky.

Two worlds characterize the artist Rhodrick Tayali, who was born in 1972 in Lusaka, Zambia, the son of the artist Henry Tayali (1943-1987). Henry Tayali studied from 1967 to 1971 in Kampala in Uganda and from 1972-1975 at the Art Academy in Düsseldorf, from 1974 as a master student of Prof.Weber and Prof. Sackenheim. His father introduced Rhodrick Tayali to art at an early age – and this approach to art continues to influence his work to this day. Henry Tayalis paintings are predominantly abstract expressionist, but there is also a whole series of graphic works that focus on life in southern Africa. Henry Tayali taught his son Rhodrick how to look closely in order to grasp and reproduce the subject of the picture, but also how to deal with colors, the intense, bright colors of southern Africa, which are much more radiant due to the sunlight than the colors in northern Europe. An important lesson that Rhodrick Tayali learned from his father was, in addition to all criticism and the willingness to change a society, not to forget ones own roots. Against this background, the artistic path of Rhodrick Tayali is a search – a perpetual search that initially revolved around exploring his roots, finding his own artistic identity, and in the process distinguishing himself from his father without distancing himself inwardly from him, in short: finding his own path. A path that the artist is still on and that will hopefully accompany him throughout his life; because art is always a search.

For almost two decades Rhodrick Tayali worked after an early, figurative phase predominantly abstract-expressionist. In the paintings of this work phase, Rhodrick Tayali combines the typical, intense African colors that he experienced in his childhood with a European-influenced perspective – and thus creates an exciting arch between the two continents and cultures.Here, memory serves him as inspiration, the colors of Zambia have left a lasting visual impression on him, and also a visit to the Victoria Falls as a child remained intensely in his memory with the impressive natural force of the water. In his abstract works, many of these fragments of memory appear as set pieces or color experiences. Bridges appear again and again in his paintings, as symbols for connections between different cultures, but also as bridges in the interpersonal sphere. Bridges are a generally valid symbol for human beings: for social interaction, spiritual bridges must be built again and again. Birds are also a frequent image motif as a symbol of mans primal dream of flying, but also of the lightness of life. To find this artistic lightness, Rhodrick Tayali went in search of his roots – a search that took many years. Rhodrick Tayali spent his early childhood in Africa. He came to Germany with his parents, where he grew up with friends of his parents after the early death of his mother. A key work with a strong symbolic meaning is the work „Back to the roots, completed in 2003, after 16 years of work on this one picture. It is a coping with a personal pain after the very early loss of the mother and later of the father, but also a being torn between cultures.The painting is built up in layers and works up the dichotomy of feelings. It is a dialogue between the suffering and pain, the dramatic coloring of red and dark purple, and the departure and hope, the green and bright yellow. The work shows a color shifting of the individual levels, from pain to reflection to overcoming.1 From the dark color background of violet, red and black, light blue, partly circular sections break out, which manifest themselves in a flowing movement to a bright yellow, green and orange on the lower right side of the picture, as well as a very bright, almost white section on the lower left.

In Rhodrick Tayalis early paintings, color was more important than form; the artist worked predominantly with strong primary colors. On the one hand, he carried the colors of the southern hemisphere, which are much more intense than the colors of the northern hemisphere, which are characterized by a higher proportion of yellow in the light. On the other hand, through the very clear colors he expressed an unrestrained elemental force in his works, which corresponded to his artistic search for his own identity.The series of works „Interspektionen“ was created in the years from 2003 to 2016. The dominant color scheme is a light blue, combined with white and light yellow-orange or green color gradients. The theme of these works is a search for bridges between two cultures: European and African, both of which have influenced the artist. In many of the works from the Interspektionen series there are several perspectives at the same time, for example a far and close-up view, a frog and bird perspective, which are separated from each other by elements such as lines or bridges, but can also be put together by these. For these lines, Tayali often uses an African symbol – the St. Andrews cross. It stands for the ups and downs of the emotional world and makes it possible to unite surreal perspectives. Changes of perspective play a major role in Tayalis pictorial motifs in relation to the great questions of life, but also to their expression through colors and forms. The different perspectives give the works a narrative level.The title Interspektionen is a modified term from psychoanalysis. Sigmund Freud coined the term „introspection, which means as much as inner view. According to this, interspection is the inner view between two worlds. With „two worldsis meant not only the difference of the two continents Africa and Europe in relation to the perception of colors and forms, but above all an artificially produced separation within a society. RhodrickTayali was born into the world of apartheid and experienced the hatred and separation between white and black that permeated all areas of life. On the way to peace it is necessary that the individuals of a society, but also the entire community, change their perspective and take in the view of the „others. This change of perspective is to be understood in the social context. Thus, the artist understands the peaceful unification of the two worlds as a process he calls interspections.Until 2013, Rhodrick Tayali worked with very with clear colors and with strong contrasts such as red andblue, showing the originality and primal power of colors. Within the Interspektionen series, as well as in parallel series such as „Search for clues,a gradual color change takes place. Tayali now uses gray, blue, purple or violet in front of red, and thus achieves a greater.

 

1 Vgl. introductory words by Dr. Friedhelm Häring on Rhodrick Tayali. Video of 6.3 2022 https://www.youtube.com/watch? 1v=OhYW81n4ezg, accessed 3/6/2023.

 

calmness compared to the agitation of earlier works. An artistic development led the artist to mix the primary colors with each other and with white in order to slow down the intense luminosity. The strong contrasts of blue and red are complemented by the complementary contrasts of red-green, purple-yellow, blue-orange or violet-green. The combination of pastel colors with complementary contrasts leads to a pictorial language that has a meditative rather than an agitating effect. Tayali describes his expressive abstract paintings of this work phase as landscapes of the soul, for which he uses the formal language of nature in order to communicate more easily with the viewer.Already at the beginning of modernism, artists such as Paul Cézanne and Henri Matisse traveled to the south of France in search of new motifs and colors, Matisse even as far as Algeria, or Paul Gauguin and Max Pechstein as far as the South Seas, thus expanding the color palette of their art. The closer one gets to the equator, the higher the proportion of yellowish light, and for this reason the colors there shine more intensely than in northern Europe, where there are more blue components in the light and the colors seem much cooler in terms of color temperature.

 

Rhodrick Tayali, on the other hand, carried these bright, intense colors of the southern hemisphere within him from childhood and only developed in the course of his artistic work phases towards a softer, less garish color scheme. The roots of his color perception, however, always remain in the colors of Zambia, its red earth, the bright power of the sun and the intense blue of the water. The path via abstraction led Rhodrick Tayali in his most recent works back to a representationalism, which, however, still retains his expressive coloring with complementary contrasts, but softens them in some parts of the picture to a softer color palette. Thematically, the artist is no longer concerned with inner worlds, but directs his gaze outward, to personalities who, like him, stand up for bridges in societies, who value tolerance and respect as the highest good of humanity. His series of portraits with tributes to various historical and current public figures who stand up for the rights of black people and for the values of democracy was created in part especially for this exhibition and is being exhibited publicly for the first time. But also the New York artist Melvin Edwards, a close friend of Henry Tayali, as well as celebrities from sports or film such as Mohammad Ali and Angelina Jolie and friends of the artist such as Daniel Amanati, who has been active against racism for years, are represented. The circle closes with a portrait of his mother, who died at an early age, as well as a self-portrait. The portraits – with the exception of the painting „Mother– are classical breast portraits in frontal view or in three-quarter profile. Most striking are the expressive colors, which allow violet, blue, green or red color fields as complementary contrasts in the faces. The backgrounds, which are to be understood symbolically, are interesting: in the case of Nelson Mandela, the crossed chains in the background as a symbol of liberation from – real and spiritual – imprisonment, in front of an African-looking landscape. Chains and a skyline with skyscrapers can be found in the background of the New York artist Melvin Edwards, who is known for his installations with steel chains. The portraits of Martin Luther King and Barack Obama also show the crossed chains in the background, whereby in Barack Obamas case the lower row of chains is painted almost translucent and seems to dissolve. Willy Brand, Konrad Adenauer and Frank-Walter Steinmeier show landscapes with bridges and birds in the background – symbols for overcoming dividing lines as well as freedom and lightness. The works of Rhodrick Tayali demonstrate a virtuoso handling of the medium of color – the use of primary colors and mixed colors, layering and overpainting, glazing, but also pastose color duct, the combination of abstract and figurative parts, allow profound works to emerge. Starting from an inner search Tayalis works send a message to viewers to turn away from conventions and question habitsand thus contribute to better communication between different cultures.

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